Emotion über Technik
von Corinna da Fonseca-Wollheim, The New York Times – Deutsche Übersetzung:
Pianisten mit einer hervorragenden Technik neigen meist dazu, Stücke, bei denen sie ihre virtuose Brillanz demonstrieren können, auszuwählen. Bei seinem Klavierabend in der New Yorker Merkin Concert Hall suchte Soheil Nasseri nach etwas anderem und kämpfte sich dabei durch das komplette Spektrum menschlicher Emotionen. Von der Verspieltheit in Brahms Capriccios und dem schalkhaften Humor in Beethovens Sonate Nr. 16 bis zur bitteren Qual der zwei neuen gewaltigen Stücke von Michael Hersch glänzte Nasseri mit sicherem Gespür für die Dramatik und ihren psychologisch bedeutenden Details.
Bei den vier Stücken von Brahms, mit denen Nasseri den Abend begann, war seine Farbgebung manchmal noch etwas fahrig, da er sich an das Instrument und den Raum noch anpassen musste. Die Probleme hatten sich jedoch gelegt, als er das Konzert mit einer forschen und funkelnden Darbietung der Originalversion von Rachmaninows Sonate Nr. 2 von 1913 beendete.
Die Leidenschaft seines Spiels packt Nasseris ganzen Körper, was sich besonders in den witzigen Momenten von Beethoven und in den tragischen Kompositionen „Tenebrae“ und „Two Lullabies“ zeigte, die Hersch nach dem Tod einer engen Freundin schrieb. Bei den asynchronischen Stimmen zu Beginn der Beethoven Sonate schaute Nasseri auf seine Hände wie ein Vater, der von seinen Kindern genervt ist. Bei einer falschen Kadenz lehnte er sich so in die Tasten, als würde seine Hand den dissonanten Akkord versehentlich spielen. Im zweiten Satz brachte Nasseri erzählerisches Flair und später noch mehr Witz in den dritten. Mit seinen abgeschnittenen Phrasen und plötzlichen Pausen schien es, als leide der Pianist an einer Gedächtnislücke.
Herschs „Tenebrae“ beginnt mit einem explosiven Akkord, der den gesamten Flügel erschüttert und dabei eine dunkle, giftige Wolke über den Rest des Stückes legt. Die Akkorde, mit ihrer zerbrechlichen Schönheit, werden in Verlauf rasanter und immer wirrer und lassen das Ganze wie in einem Schock enden.
Trotz des Titels „Two Lullabies“ ist da nichts Beruhigendes in den zwei Schlafliedern, die, wenn auch langsam, durch brutale Cluster-Akkorden unterbrochen werden. Die pendelnde Bewegung und die mystischen Harmonien charakterisieren das zweite Schlaflied, das dabei permanent von radikalen Akkorden gestört wird. Auch hier zeigte sich einmal mehr – durch den Einsatz seiner Fäuste oder dem plötzlichen Senken seiner Schultern – Nasseris körperliche Hingabe an die Musik und verdeutlichte die Erschöpfung und Verzweiflung dieser psychisch zehrenden und strukturell überzeugenden Stücke.