Pianist versieht klassische Standards mit einem neuen Touch
Weniger Musiker, aber nicht weniger Kraft in Beethovens Fünfter
Soheil Nasseri, ein Pianist, der für seine unorthodoxen Programmauswahlen bekannt ist, gab einen Klavierabend, der aus Standards vom Anfang des 19. Jahrhunderts bestand. Die Aufstellung beinhaltete solch abgedroschene Stücke wie Schuberts Sonate G-dur (D 894), eine Chopin Ballade und Beethovens fünfte Symphonie.
Nasseri hat aber ein Händchen dafür gewöhnliche Zutaten in Wahrhaftigkeit umzuwandeln. Am Dienstag gab mir der Einbezug von Liszts Klaviertranskription der epochalen fünften Symphonie einen Eindruck von den verschwimmenden Grenzen zwischen orchestralen und Klavierwerken – und zwischen den öffentlichen und privaten Formen in welchen symphonische Hits zu der damaligen Zeit konsumiert wurden. Beethovens Einfluss kann in verschiedenen Graduierungen in Schubert, Chopin und Liszt, dessen Liebestraum Nr. 3 und die ungarische Rhapsodie Nr. 10, die von Nasseri als Zugaben angeboten wurden, gehört werden. Wie jeder andere Komponist des 19. Jahrhunderts hatten sie seine Musik aber nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit den Fingern assimiliert.
Nasseris Lesart der Beethovenschen Transkription war fesselnd und mächtig. Sie krönte ein Programm das ungünstig mit einer farblosen Darbietung Schuberts begonnen hatte. Es gab dort wenig Rätselhaftes, ausser in dem Trio des dritten Satzes, dem Menuetto, in dem er einen atemberaubend, verhüllten Klang erzeugte. Seine Aufführung von Chopins Ballade Nr. 1 (op. 23) war überzeugender, mit all der Prahlerei, aber nicht ganz der Poesie, die diese Musik erfordert.
Die zweite Hälfte des Programms war Nasseri in excellenter Form. Hier eröffnete er mit einer spritzigen Wiedergabe von Beethovens witzigen Variationen von “God save the King”. (“Sie brauchen nur aufzustehen, wenn Sie Engländer sind”, sagte er dem Publikum.)
Dann machte sich Nasseri an Beethovens Fünfte ran. Diese ersten fünf Takte klingen für mich immer als würde eine Tür eingeschlagen werden und ohne die Horde von Orchestermusikern, die erwartungsvoll dasitzen oder den als Warnung erhobenen Arm eines Dirigenten, wurde einem dieses Gefühl mit einer erschlagenden Unmittelbarkeit aufgedrängt.
Eine Klaviertranskription ähnelt in gewisser Weise einer Kohlezeichnung eines Gemäldes, es hebt die Beziehungen der einzelnen Linien zur Gesamtkomposition hervor. In der Tat rang Nasseri seinem Instrument tapfer ein grosszügiges Spektrum an Texturen und Farben ab. Am eindrucksvollsten waren die akribisch genau ausgearbeiteten Entwicklungsabschnitte. Das Andante war mit all seiner Klarheit und Dramatik besonders schön. Nasseri gab der Phrasierung eine vernünftige Elastizität und den chromatischen Progressionen eine straffe Spannung.
Es war auch interessant die Passagen zu bemerken in denen sich die Klaviertranskription wie eine Reduktion anfühlte. Ohne die räumliche Bewegung, die entsteht, wenn ein Thema von einer Instrumentalgruppe zur nächsten gereicht wird, erschien beispielsweise die Fuge des dritten Satzes ein ganzes Stück weniger aufregend. Auf den Tasten eines Klaviers wird der Abstand zwischen den Stimmen in Zentimetern gemessen; im Orchester können es viele Meter sein. Die Wichtigkeit dieser kinetischen Energie in der orchestralen Musik war etwas, dass ich vorher nicht in dieser Klarheit bemerkt hatte, sie war eine von vielen frischen Einsichten die durch Nasseris Aufführung ermöglicht wurde.
Soheil Nasseri tritt als nächstes am Donnerstag in der Broadmead Concert Series in Cockeysville, Maryland auf.