The Washington Post: Soheil Nasseri lockt süße Töne aus einem sauren Klavier

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Soheil Nasseri lockt süße Töne aus einem sauren Klavier

Bildunterschrift: Pianist Soheil Nasseri gab am Samstag im AMP ein beindruckendes, expressives Konzert, obwohl er auf einem Yamaha Flügel spielen musste, der ein halsstarriges, dummes Instrument war.

Manchmal lernt man mehr über einen Künstler, wenn man ihn unter widrigen Umständen sieht, als wenn alles gut läuft. Es ist schon mehrere Jahre her da zog mich die Sopranistin Diana Damrau für immer in ihren Bann, als sie Wege fand einen wundervoller Liederabend trotz Erkältung zu geben. Am Samstagabend hatte der Pianist Soheil Nasseri ein ähnliches Problem: Sein Instrument -ein Yamaha Klavier- entsprach nicht seinen Klangvorstellungen. Und wie Damrau nahm er die Herausforderung an und gab eine beindruckende, ausdrucksvolle Vorstellung.

Nasseri spielte im AMP, dem neuesten Aufführungsort in Strathmore, der in Montgomery County im März als Teil eines Bauprojektes eröffnet wurde, welches Wohnraum, Büroraum und Fussgängerzonen mit Geschäften und Restaurants kombiniert, um eine nachbarschaftliche Umgebung zu schaffen (dem Zulauf nach zu urteilen, der sich anhand der draussen dinierenden Restaurant-Gäste an einem Freitagabend bemerkbar machte, scheint das zu funktionieren). AMP ist nicht sehr anders als Birchmere, wo man an langen Tischen essen kann (das Essen ist ziemlich gut), während man der Live-Musik zuhört; AMP ist jedoch kleiner und etwas glatter und verfügt im oberen Stockwerk über einen Saal mit grossen Fenstern, von denen man den Sonnenuntergang über dem Rockville Pike beobachten kann – was längst nicht so enttäuschend ist, wie es im gedruckten Wort erscheint.

AMPs Aufführungen waren bisher hauptsächlich in der Singer-Songwriter, Jazz Combo oder Folk Tradition; Nasseri, der in der Washington Gegend zur Schule ging, ist der einzige rein klassische Künstler in dieser beginnenden Halbsaison. Er machte mit seinem Programm keine Konzessionen an den Aufführungsort: Anstatt sich mit kürzeren Stücken, Poparrangements oder zeitgenössischen Kompositionen von Komponisten, die leichtgängig zwischen den Genres operieren, zu befassen, begann er mit Schuberts Sonate A-dur, D 959, einem Werk, dass tiefsinnig, subtil und lang ist, setzte das Programm mit Chopins Barcarole fort und beendete die Aufführung mit Liszts Bearbeitung der fünften Symphonie von Beethoven. Nichtsdestotrotz blieb er in seiner Presentation locker. “Ich sehe, dass einige von Ihnen noch essen”, sagte er, als er die Bühne betrat. “Nun, bitte kauen sie ihr Essen vorsichtig, denn ich werde nicht stoppen, falls Sie sich verschlucken sollten.” Nachdem er dafür grosses Gelächter erntete, setze er sich und begann den Schubert zu spielen.

Und -ohje- das Klavier. AMP ist in direkter Nähe zu einer Steinway Filiale, aber ein Steinway passte nicht in AMPs Fahrstuhl. So musste Nasseri mit einem geradewegs unangenehm zu nennenden Yamaha Flügel fertig werden: einem halsstarrigen, dummen Instrument, das, wenn es berührt wurde einen hellblechernen Klang hinknallte und dann alle seine Nachklänge verschluckte, als wäre es unwillig über alles vertraglich Vereinbarte hinaus zugehen.

Für Schubert hätte dies der Todesstoss sein können, aber Nasseri spielte, als hätte er ein geschmeidigeres Instrument unter seinen Fingern und tat alles um einen Ausdruck hervorzuholen. Auch wenn das Klavier zu keiner Nuance fähig war – er spielte, als wäre es das. Sein Schubert war klar geschnitten und klassisch in der Heransgehensweise – zu welchem Grad dies vom Klavier beeinflusst war kann man nur raten – wobei die gebrochenen Sätze am Ende des Stückes eine besondere Eindringlichkeit erhielten, als hätte das Klavier gedroht die Oberhand zu behalten – in seinem Kampf den Klang zu brechen – bis er schliesslich gewann.

Mit derselben Autorität ging er durch den Chopin, in welchem er sogar das Klavier zum Singen brachte, und durch den Beethoven, welcher er mit all der Autorität und dem majestätischem Ausdruck versah, den die Musik erforderte, sogar noch als das Instrument ihn mit rauem Bass, hohen Tönen, die wie scharfe Splitter im Ohr klangen und seinem Unvermögen irgendeine Art von donnerndener Resonanz, nach denen der letzte Satz schreit, hervorzubringen, auszuhöhlen suchte. Das dies solch eine feine Aufführung wurde sagt in der Tat viel über Nasseris Fähigkeiten aus; er wurde mit verdienten Ovationen belohnt (und spielte eine sehr schöne Darbietung von Liszts ‘Liebestraum’ als Zugabe).

Der Abend war eine aufschlussreiche Illustration der Vorzüge und Fallgruben, die klassische Musiker erwarten, die ausserhalb der traditionellen Aufführungsorte auftreten (und ich habe dabei noch nicht einmal die Mozart Symphonien erwähnt, die aus den Lautsprechern tönten, wenn keine Live-Musik gespielt wurde). Ich hoffe, dass diese Beschreibung nicht andere Künstler oder anderes Publikum abschreckt, denn es war trotz alledem ein wundervoller und intimer Abend, der ein ansehnliches Publikum anzog. Diese Art von Aufführung sollte eine traditionelle Aufführung nicht ersetzen, aber sie könnte eine wertvolle Ergänzung darstellen – auf jeden Fall, wenn sie so, wie in Nasseris Fall begangen wird.